Die Dramatische Bühne geht seit 16 Jahren im Sommer ins freie. Ziemlich entspannt geht es zu im Frankfurter Grüneburgpark.

Die Fotos sind irre. Ein Psychopath grinst seine Axt an jemand blickt traurig aus einer Affenmaske, Napoleon brüllt wie wahnsinnig als sei er begeistert und habe zugleich furchtbare Schmerzen. Die Bilder sind auf einigen der Tücher zu sehen, die zurzeit über das von Bauzäunen begrenzte Festivalgelände der Dramatischen Bühne im Grüneburgpark gespannt sind. Sie offenbaren, worum er der Theatergruppe um Leiter Thorsten Morawietz geht: um das Über- Ver- und Abgedrehte.
„Wir haben die Vision von Shakespeares Theater, gauklerisch, komödiantisch, in schönen, phantasievollen Kostümen, hemmungslos gefallsüchtig“, sagt Morawietz mit tiefer, knarziger Stimme. Er hat die Theatergruppe vor 28 Jahren gegründet, er hat, vor 16 Jahren, ihr Freilichtfestival ins leben gerufen, er führt, bis heute, bei jedem einzelnen Stück Regie.
„Ich will Spiellaune erzeugen“, sagt Morawietz. Entscheidend sei die Wahl des Textes: manche Szenen und Rollen spielen sich wie von selbst, findet er. „Auf den Mephisto von Goethe, da kannst du jeden Schauspieler draufstehen, das wird großartig.“ Und selbst ein schlecht gespielter Mephisto sei besser als jede Rolle von Elfriede Jelinek. „Auf Jelineks Rollen kann man Robert de Niro setzen – ich find’s trotzdem scheußlich.“ Morawietz trägt ein graues T-Shirt mit V-Ausschnitt, in dem die Brust sich rötet. Sein dünnes, hellbraunes Haar baumelt im Wind. Er schultert seinen Outdoorrucksack und stiefelt in seinen schweren beigefarbenen Schuhen los in den Grüneburgpark. Bald beginnt die Vorstellung.
Der Himmel ist wolkenverhangen, eine Brise lupft die weißen Tücher an den Zäunen und gewährt Blicke auf das Allerheiligste des Theaters: die Bühne. Deren hintere Wand bedeckt das kitschige Bild einer rosa-gelb-hellgrünen Wiese, die von zwei buschigen Bäumen gesäumt wird. Im Hintergrund stehen zwei Pappeln vor dunkelblau-unruhigem Himmel. Links und rechts des Bildes hängt an schwarzen Wänden eine Collage aus bunten Masken, Hüten, einem Harlekinkostüm und wurstigen Puttenfiguren.
Die Bühne steht an einem Ende des umzäunten Geländes, am anderen der Getränkeverkauf, dazwischen warten aufgereihte weiße Plastikstühle auf das Publikum. Außerdem gibt es viel Wiese und ein paar Bierzeltgarnituren. Morawietz legt sich auf den einzigen Liegestuhl, klaubt mit seiner linken Hand Laub und gelbes Gras vom Boden und zerreibt es über seinem Bauch. „Beim Freilichtfestival spielen wir Stücke aus dem gesamten Repertoire“, sagt er. Dieses reicht von Hamlet und Faust über die „Fantasynacht“ bis zu „Händel und Gretel, die Dämonenjäger“, alle zwei Tage spielt die Gruppe ein anderes, insgesamt sind bis zum 23. August 27 Stücke zu sehen. „Alice im Wunderland“, das Stück, das an diesem Abend zu sehen ist, führt die Truppe seit neun (sic!) Jahren auf. Natürlich habe es sich mit der Zeit verändert, schon allein durch das Alter der Schauspieler. „Aber auch, weil man lernt, wann die Leute lachen.“
Wer aber sind diese Leute, die Zuschauer der Dramatischen Bühne? „Idealer Weise ist es bei uns, wie bei Shakespeare, wo die Bettler und die Straßendirnen neben den Edelleuten saßen“, sagt Morawietz. Diese Mischung gelinge im Grüneburgpark besser als in der Exzess-Halle an der Leipziger Straße in Bockenheim, wo die Gruppe normalerweise spielt. In den Park wage sich auch bürgerliches Publikum, in der Halle sei es vorwiegend alternativ. „Die Halle ist halt auch etwas heruntergekommen“, sagt der Theaterleiter und wischt sich die Laubbrösel vom Bauch.
Rita Heberer und Gisela Schork waren schon mehrere Male beim Freilichtfestival; die Exzess-Halle haben die 73 und 75 Jahre alten Damen hingegen noch nie besucht. „Mir gefällt die Originalität hier. Und die Schauspieler sind super“, sagt Heberer.
In „Alice im Wunderland“ tragen die Schauspieler Kostüme, die den Charakter ihrer Figur verraten. Der langweilige Vater steckt in einem langen schwarzen Mantel, die naive, aufgeweckte Alice in Kleidchen und Kniestrümpfen. Ihre Traumfiguren sind bunt und phantasievoll angezogen – oder oben ohne, wie der brutale Metzger.
Mit Alice wandert das Publikum durch den Park, löst Rätsel, hört Gedichte in einer Phantasiesprache und hat großen Spaß. Die Schauspieler fisteln, brüllen, drohen und lachen. Anna Lenz ist 30, Apothekerin und hat die Dramatische Bühne bisher zweimal gesehen. Ihr Fazit: „Schräg. Und phantastisch.“
Das Ensemble spielt noch bis Ende August im Park, im Herbst feiert die nächste Inszenierung in der Exzess-Halle Premiere; welches Stück ist noch ungewiss. Ebenso ungewiss ist die Zukunft des Theaters. Im November entscheidet die Stadt, ob sie die Dramatische Bühne weiterhin fördert.