Frankfurter Rundschau vom 08.12.2015
VON STEFAN MICHALZIK
Die dramatische Bühne spielt Tschechows „Möwe“ als Reimkomödie und mit allerlei anderen Tschechow-Zutaten.
Ist das nun doch womöglich am Ende gar „werktreu“, entsprechend dem nimmer totzukriegenden Kampfwort in der Theaterdebatte? Die Textgestalt ist dem freien Frankfurter Ensemble „Die dramatische Bühne“ ganz und gar nicht sakrosankt. Nach freihändigem Belieben geht Thorsten Morawietz damit um, der in der Art der fahrenden Truppen vergangener Jahrhunderte selbst als Schauspieler auf der Bühne stehende Regisseur und Gründer. ,,Die Möwe“ steht auf dem Programm, doch mit der zweiten Szene schon befindet man sich zugleich im „Kirschgarten“; Tschechow tritt als Figur in Erscheinung, später taucht die melancholische Beschwörung Moskaus aus „Drei Schwestern“ auf. Obendrein präsentiert sich dieses verschnittene Konglomerat als Reimkomödie von zum Teil durchaus origineller Art.
Wer nun knallig überdrehtes Theater nach Art dieses in der Exzess-Halle ansässigen Ensembles erwartet –nichts dergleichen! Mit Ausnahme von Morawietz selber als deftigem Komödianten in der Rolle des manierenfernen Unternehmers Lopachin, der den bürgerlichen Kirschgarten kaufen, parzellieren und der fortschrittlichen Industrialisierung anheimgeben will. Auch noch der als Publikumsliebling angelegte greisentattrige Diener Firs von Michael Schumacher geht in diese Richtung. Der Rest des nach Art des 19. Jahrhunderts kostümierten Ensembles erscheint in seinem Spiel überwiegend erstaunlich konventionell, wenngleich einige starke Spieler darunter sind, voran Simone Greiß als konturenscharf pointierte Arkadina, daneben Julian Koenig als Kostja und Christoph Maasch als Tschechow. Besonders den auf Staffage reduzierten Figuren von der Nachwuchssektion „Kinder des Olymp“ allerdings haftet ein Hauch von Laienspielschar an. Die beständig aus dem Off eingespielten Happen von Violinen, Klavier undsofort erinnern an das Geplätscher auf Klassikradio.
Wie die Reime im Pingpong quer über die Bühne gehen, das hat für Momente einiges für sich. Dass allerdings die Angelegenheit in der Summe derart wie vom Mehltau überzogen anmutet, wie das von Melancholie und Suizidgedanken geplagte niedergehende Bürgersvölkchen das Leben empfindet, das Abbild von Tristesse also selber trist wirkt, ist ungünstig. Es erschließt sich nicht eine gewisse Abgrundschärfe, so mutet der Abend an wie gesucht und nicht recht gefunden. Das ist schon fast wieder wie bei Tschechows Personal.