Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 03.07.2008

VON CHRISTOPH SCHÜTTE

02. Juli 2008 Shakespeare. Immer wieder Shakespeare. „Hamlet“, „Macbeth“, „Romeo und Julia“ selbstverständlich und „Der Sturm“, und im Herbst folgt „Was ihr wollt“. Und doch lässt sich im Grunde kein passenderes, den Charakter dieser im besten Sinne eigensinnigen Theatertruppe trefflicher spiegelndes Stück vorstellen als der „Sommernachtstraum“, mit dem „Die Dramatische Bühne“ jetzt ihre zehnte Freilichtsaison eröffnet hat. Denn hier, zur Dämmerung unter all den alten Linden, Buchen und Kastanien im Frankfurter Grüneburgpark, entfaltet sich gerade jener nicht nur sprichwörtliche Zauber, um den sich seit mittlerweile 20 Jahren alles dreht, auf den es ankommt in diesem Theater, wie in sonst wohl keiner Bühne weit und breit mehr.

Mal drastisch, mal ergreifend

„So wir lieben lügen wir, und dies ist eine Narrenbühne hier“: Das Motto des 1988 von Maria Piniella, Michael Przybilla und Thorsten Morawietz’ gegründeten Theaters, man kann es getrost leitmotivisch lesen.
Denn Morawietz Inszenierungen des „Sommernachtstraums“, auch von „Faust“, von zahlreichen Filmstoffen, von „Cyrano“ oder den nach Choderlos de Laclos’ Klassiker entstandenen „Tödlichen Liebschaften“ – das ist immer pralles, buntes, komödiantisches Theater. Mit Rittern und Narren, Mantel, Schwert und Degen, mal drastisch, mal ergreifend, wie es womöglich schon im elisabethanischen Zeitalter war.

„Am schönsten“, beschreibt denn auch Morawietz, der nicht nur alle Stücke des rund 15 Mitglieder zählenden Ensembles bearbeitet, sondern stets auch Regie führt und als Cyrano und Doktor Faust oder als Elfenkönig Oberon jeden Abend auf der Bühne steht, am schönsten sei es für ihn, wenn es gelinge, „die Stücke so zu inszenieren, als würden sie zum ersten Mal gemacht.“

So frisch, so romantisch, so abgründig, komisch, krachledern mitunter und so lächerlich, wie es das Theater, die Welt, im Grunde ist. „Ein Teil des Vergnügens besteht ja für die Zuschauer darin, dass sie froh sind, sich nicht so lächerlich zu machen wie wir auf der Bühne.“

Ein Ritter darf ein Ritter sein

Und also darf bei der „Dramatischen Bühne“ schon mal einer in kurzen Hosen und Strumpfhosen auf der Bühne stehen, darf ein Ritter auch ein echter Ritter und kein Immobilienmakler sein, ein König ein König statt eines Vorstandvorsitzenden und eine Dirne eine Dirne. Die „allgemeine Mode“ im zeitgenössischen Theater, wo „in bald jeder Inszenierung ein U-Bahnhof in Marzahn oder ein Neubauviertel in Rostock“ vorkomme, interessiert den 41 Jahre alten Regisseur, der schon als Schauspielschüler wusste, dass er sein eigenesTheater haben wollte, dagegen deutlich weniger.
Viele Aspekte, die Schönheit der Sprache etwa, die Morawietz liebt und in seinem Theater auf fast schon altmodisch anmutende, in Wahrheit zeitlose Weise kultiviert, kämen dort einfach zu kurz. „Und von ‚Shoppen und Ficken’ weiß ich bis heute nicht, ob es ironisch gemeint ist oder nicht.“

Zeitlosigkeit der Klassiker

Dagegen hat „Die Dramatische Bühne“ immer schon auf die Zeitlosigkeit der Klassiker gesetzt, wenngleich die Inszenierung der mittelalterlichen „Canterbury Tales“, das erste Stück, mit dem sich das freie, mittlerweile von der Stadt institutionell geförderte Theater seinerzeit seinem damals noch spärlichen Publikum vorstellte, doch vergleichsweise kopflastig und experimentell geraten sei. Das Akademische freilich, das „Theater im Elfenturm“, wie Morawietz mit einem hübschen Freudschen Versprecher die Anfangszeit beschreibt, haben sie ihrem Theater mit noch bei jeder Aufführung spürbarer Lust an Text und Spiel alsbald schon ausgetrieben. Und einen eigenen, der Fülle des Lebens dieser Stücke durchaus adäquaten Stil gefunden.

Wie bei Shakespeare

„Wenn wir mit einer Zeitmaschine in Shakespeares London reisen könnten, würden wir uns glaube ich ganz gut schlagen.“ Und wer jemals in der Bockenheimer Exzesshalle, am schon traditionellen Spielort, „Macbeth“, den „Sturm“ und „Romeo und Julia“ gesehen hat, der wird das gerne glauben. Denn manchmal geht es hier in der Tat gerade wie zu Shakespeares Zeiten zu, wo, so Morawietz, die „Dirnen und Beutelschneider im Parterre“, die Mitglieder der besseren Gesellschaft derweil auf den Rängen saßen. Heute sind es mitunter Punker und Studenten, Teenies und Anarchos, Banker oder Rentner.

Die natürliche Kulisse

Menschen eben, die jenseits eines selbstreferentiellem Diskurstheaters auch auf das Spektakel einer Narrenbühne wie aus dem Theaterbilderbuch nicht verzichten wollen. Und doch gibt es für Schauspieler wie Publikum kaum Schöneres als die Freilichtsaison mitrund 20 Inszenierungen von „Amadeus“, über „Faust“ und „Hamlet“ bis zu „Nosferatu“, „Rocky – Der Boxer“ und einem auf drei Runden angesetzten komischen Duell „Shakespeare gegen Goethe“. Für die Zuschauer, weil die natürliche Kulisse schlicht und einfach einzigartig ist, für „Die Dramatische Bühne“, „weil wir Menschen erreichen, die vielleicht sonst gar nicht ins Theater gehen.“

Bühne am Elfenturm

Und nicht zuletzt für das Ensemble, das damit ein Repertoire aus gut und gerne 15 Jahren pflegen kann, mit Inszenierungen, die sich Jahr für Jahr behaupten müssen geradeso, als wäre es das allererste Mal. Ganz frisch und neu und voller Leben, „ein vergeblicher Versuch“ auch, so Morawietz, „gegen das Vergängliche des Theaters anzugehen.“ Doch hier irrt der Romantiker, der dieser Regisseur im Herzen ist. Denn wo es gelingt, scheint die Vergänglichkeit des Lebens wie aller Kunst; und sei es nur für einen Augenblick; im Gegenteil beinahe aufgehoben. Irgendwo da draußen, auf der Bühne gleich am Elfenturm.